Schneemassen, Schneestürme, Staus und Ausrutscher bestimmten die zweite Etappe der 19. AvD-Histo-Monte. Doch was nach Chaos klingt, war für die große Mehrheit der verbliebenen 67 Teilnehmer ein begeisterndes Erlebnis.
Alle paar Jahre räumen die Amerikaner an der Ostküste die Supermarktregale leer. Der Katastrophenschutz und die Nationalgarde sind alarmiert, der jeweilige Gouverneur und sogar der Präsident mahnen zu Besonnenheit und raten zum Daheimbleiben, CNN sendet Dauerfeuer und die ARD bittet um Verständnis, dass sich das Winterfest der Volksmusik um 15 Minuten verschiebt, weil man noch einen Brennpunkt zum Thema Schneechaos in den USA dazwischenschieben muss.
Alle Jahre wieder spart sich der typische Straßendorf-Bewohner im Jura den morgendlichen Blick aus dem Küchenfenster, weil er weiß, dass sich davor eine weiße Wand türmt, die der Pflug aufgeworfen hat. Er kocht sich einen starken Kaffee, zündet sich eine Gauloises an und lacht herzlich über die Nachrichten, in denen von einem doch eher glimpflich abgelaufenen Schneesturm in Amerika die Rede ist. Dann zieht er die Jacke über, geht in die Garage und wirft seine Schneefräse von der Größe eines Renault Twingo an. Die Gegend im Department Doubs ist berüchtigt, denn sie ist die kälteste Frankreichs. Vor 30 Jahren, im Januar 1985, wurde im 1000-Seelen-Örtchen Mouthe mit 41,2 Grad minus die niedrigste Temperatur Frankreichs gemessen. CNN berichtete nicht.
Allerdings kommt es auch in der Region Franche-Comté nicht alle Tage vor, dass sich zu den in einer Woche gefallenen Schneemassen wüste Sturmböen gesellen, die aus hübschen weißen Hügeln gefräßige Wanderdünen machen. Beifahrer Mike Giesche hat schon einige Histo-Monte auf dem Buckel, aber nicht so eine: „An diesen Tag werde ich mich mein Leben lang erinnern. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Schnee gesehen.“ Mancher sah gar so viel Schnee, dass er gar nichts mehr sah. In Chaux Neuve herrschte White Out. In den zahlreichen Schneeverwehungen verblies es nicht nur die Sicht, sondern auch diverse Autos von Einheimischen und Rallye-Teams. Ein Lastwagen versperrte die Straße, eine Gruppe von Histo-Monte-Streitern musste eine halbe Stunde warten, bis die Piste wieder frei war.
Den mächtigen Oldsmobile von Hannes Streng zog es bei einem Ausweichmanöver in eine Schneemauer, die Bergung dauerte abermals eine geraume Weile. Dabei schwört der Fürther, dass sein 71er Ami-Schlitten trotz 5,60 Meter Länge zu den bestbeherrschbaren Schneegefährten im Feld gehöre. Der Fuchs aus Fürth hat sich extra für die Rallye Kleinlastwagen-Reifen der finnischen Spezial-Marke Hakkapeliitta besorgt.
Die hätte auch Hans Brückmann gern gehabt. Zwar besagte ein Hinweis im morgendlichen Bulletin, dass die Straße zur Durchfahrtskontrolle in der Tram von Confort gesperrt sein könnte, ein Pfeil wies den Weg zur Umleitung. Doch nicht alle hatten gelesen oder gesehen, und so traf man sich an einem Bauernhof zum Schneeschippen, um den Boliden wieder frei zu bekommen. „Ich hätte die Schneeketten besser vorher aufgezogen“, knurrte der Düsseldorfer.
Der Zeitplan geriet ins Wanken, so dass neben der verwehten Prüfung zehn ausgerechnet die pittoreske Abschlussprüfung auf dem Mont Revard der Streichliste zum Opfer fiel. Die Enttäuschten, denen das Abschlusswedeln auf festgefahrener Schneedecke hinab zu den Lichtern von Aix-les-Bains abging, waren zumindest halb getröstet, als sie erfuhren, dass dichter Nebel jede reguläre Wertungsprüfung vereitelt hätte. Obwohl Organisator Peter Göbel vehement seine Unschuld versicherte, war mancher Teilnehmer nicht von der Idee abzubringen, dass die schlechte Sicht ein vom Veranstalter eingebauter Spezialeffekt sei, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen.
Hartgesottene Verschwörungstheoretiker schworen gar, dass sich die Eingeborenen in den Departments Haute Savoie und Rhone Alpes abgesprochen hätten, um in konzertierter Aktion Rallye-Teilnehmer beim Einhalten ihres Schnittes zu behindern. Saab-Fahrer Peter Steinfurth wusste zu berichten, dass eine ältere Dame ihn exakt so lange einbremste, bis vor ihr ein Land Rover mit Anhänger auf die Prüfung einbog, die durch die Schneemassen mit gutem Willen anderthalbspurig genannt werden konnte.
Die aufgeschobenen Mauern erreichten vielerorten Höhen, in denen sich Service-Transporter verstecken ließen. In manchen Dörfern gingen sie nahtlos in die Schneewächten auf den Hausdächern über. Auf manchen stand die Feuerwehr mit Schaufeln, um die Last der Dachbalken zu lindern. Lina van de Mars spürte den Magnetismus der Schneemauern besonders stark, sie justierte einen Scheinwerfer an ihrem Skoda 110R nach einem Ausrutscher neu. Joachim Zeunges stopfte seinen Mercedes 350 SLC so vehement in den Schnee, dass er bis in die Nacht am schmucken Daimler repartierte. Seine völlige Unschuld beteuerte dagegen Skoda-Sportpressesprecher Andreas Leue, dessen Windschutzscheibe am 61er Skoda Octavia ohne Feindeinwirkung barst, zum Glück aber nahe einem Supermarkt. Mit Plastikfolie und vier Gardinenstangen zog er mit Beifahrer Andreas Of ein neues Fenster ein.
Aber natürlich gab es nicht nur Pleiten, Pech und Pannen – ganz im Gegenteil. Dem Rallyetross gingen beim Beschreiben des Erlebten auf der zweiten Etappe der Histo-Monte bald die Superlative aus. Wäre im Cockpit Platz gewesen, hätte der Zweimetermann Tim Westermann im Seat 127 vor Begeisterung Purzelbäume geschlagen: „Eine der geilsten Oldtimer-Rallyes, die ich je gefahren bin. Das hier ist nicht nur das übliche Schläuche plattfahren. Die Navigation ist anspruchsvoll, und die Schneepisten ein Hammer.
Auch wenn der letzte Histo-Monte-Sieger Lars Blunck als Siebter von der Titelverteidigung ein ganzes Stück entfernt ist, mochte er seine Laune nicht eintrüben lassen: „Das war ein fantastischer Tag. Meine Lieblingsprüfung war die 13. Mit festgefahrener Schneedecke und breiter Piste. Das hat so einen Spaß gemacht.“ Tatsächlich führte die durch Nordost-Frankreich geführte Route mit einem kleinen Schlenker durch die französische Schweiz über weiter Strecken durch ein Winter-Wunderland, in dem sich hinter über die Höhen gepeitschten Wolken hier und da gar die Sonne blicken ließ und Felder und Wälder in eine Glitzerwelt verwandelte.
Begeistert waren selbst die Ersten des Vortages, obwohl Thomas Richter und Josef Dumpe schworen, sie hätten auf der ersten von sechs Prüfungen komplett verwachst, nachdem sie den Start um ein Haar nicht gefunden hätten. Doch trotz des Fehlstarts behauptete das Duo im allradgetrieben Audi S2 die Spitze ebenso wie Dominik an der Heiden und Werner Neugebauer Rang zwei. Das Duo liegt im Porsche 914-6 zur Rallye-Halbzeit nur 15 Punkte schlechter.
Übrigens … Der Hinweis einiger unverständiger Teilnehmer und verfrorener Zeitnehmer, die den Sommer für eine Ausfahrt nach Monte Carlo für deutlich geeigneter halten als den Februar, sei gesagt, dass sie sich damit kaum auf der sicheren Seite befinden. Im schon erwähnten Mouthe wurden an einem schönen Juli-Tag 1962 ganze vier Grad gemessen – minus, wohl gemerkt.
Was sonst noch geschah …
Premiere für den Meister: Er ist zwar einer der schnellsten Driftkünstler Deutschlands, Raserei im öffentlichen Straßenverkehr kann man Matthias Kahle aber nicht unbedingt nachsagen. Bei Tempolimit 80 auf der Landstraße wird der Sachse auch schon mal von einem schimpfenden Lkw-Fahrer mit der Lichthupe bedroht und von einer rüstigen Oma überholt. Es sagt also einiges über die Straßenverhältnisse, dass Kahle und Beifahrer Thomas Roth heute als Erste das Etappenziel erreichten. „Das ist das erste Mal, dass mir so etwas bei einer Oldtimerrallye passiert“, strahlte der Skoda-Mann, der die abschließende Zeitkontrolle vor lauter Euphorie prompt von der falschen Seite ansteuerte.
Text: Markus Stier