Das gibt’s auch nicht alle Tage. Nach kurzer Verbindung zur Schweizer Grenze überquert das Teilnehmerfeld den Rhein und damit die Grenze zur Schweiz über die alte Rheinfeldener Brücke. Die ist für’s gemeine Automobilvolk sonst gesperrt. Exklusiv für die Teilnehmer der AvD-Histo-Monte haben die Grenzbehörden den Blitzkasten abgestellt, der sonst bei unautorisierten Kennzeichen scharf schießt. Das Ereignis hat sich rumgesprochen. Eine halbe Hundertschaft Schaulustiger will sich den Vorkriegs-Riley, den Alitalia-Stratos, aber auch die Ente und den Buckel-Volvo in der strahlenden Morgensonne nicht entgehen lassen. Selbst die badische Lokalzeitung ist vor Ort.
Die Histo-Monte hat schon ihren ersten kleinen Fanclub. Zwei Schwaben aus dem Remstal folgen der Karawane bis zum Mittelmeer.
Mit 67 Autos im Ziel der 525 Kilometer langen dritten Etappe hat es unter den Teilnehmern keine weiteren Verluste gegeben. Auch wenn Dominik an der Heiden das Kupplungspedal noch immer bis zum Nummernschildhalter durchtreten muss, um irgendeine Wirkung zu erzielen, auch wenn die blaue Fulvia von Ralf Wittenberg schon am frühen Morgen auf der Autobahn stoppt, wieder mit verstopftem Benzinfilter. Die Assistenz braucht er nicht rufen. „Das kann ich selbst in zehn Minuten“, schwört er. Es könnte auch keine Hilfe erwarten, denn ausgerechnet der AvD-Servicetruck braucht selbst Hilfe. Das Getriebe ist hin. Getreu dem NASA-Motto für die Apollo-13-Mission sagt sich Alexander Planer: „Ein Fehlschlag ist keine Option“, und ordert Ersatz aus dem fernen Thüringen. „In sechs Stunden müsste er da sein“, sagt er, und damit ist das Thema besprochen.
Nach der traumatischen Erfahrung vom Vortag mit der schier unauffindbaren geheimen Kontrolle an der Lochsägemühle nahe der Nagold-Talsperre gibt es für die Teams heute an Zeit- und Durchfahrtskontrollen Streicheleinheiten – zumindest für den Gaumen. Wer die nächste geheime Durchfahrtskontrolle kurz vor der Mittagsrast nicht verpasst, bekommt Honig ums Maul geschmiert – wahlweise aber auch im Glas. Der regionale Imker stempelt vor seinem Honig-Geschäft nahe Malbuisson selbst und reicht Bienengold in Gläsern in die Autos. Angesichts der kurzen Nacht (Start war um sieben) muntert schon am Morgen das Personal im schönen Hotel da la Couronne im noch schöneren Örtchen Saint Ursanne das Rallyevolk mit Espresso auf. Das filmkulissenhafte Städtchen im Jura ist die leuchtende Perle an der blauen Kette, die diesen Morgen bestimmt. Bei schönstem Wetter geht es durch das Tal des Doubs, einem wilden Zufluss der Saône, der sich tief ins Schweizer und französische Jura gefressen hat.
Ein Highlight und gleichzeitig ein Kälte-Tiefpunkt der Reise ist die Fahrt durch Mouthe. Die 1000-Seelengemeinde rühmt sich, die durchschnittlich kälteste Frankreichs zu sein. Gelegen in einem 1000 Meter hohen Tal bildet sich in „Petite Sibérie“ im Winter oft ein Kaltluftsee, der die Temperatur leicht bis minus 30 Grad sinken kann. Den 1985 erzielten Rekordwert von minus 41,0 halten selbst stolze Jura-Franzosen für unter Umständen übertrieben, aber die im Januar 1968 gemessenen minus 36,7 Grad sind amtlich. Tatsächlich fällt die Temperatur beim Aufbruch nach der Mittagspause zügig von 7 auf 4,5 Grad. Und um ihrem Ruf trotz eines relativ milden Winters gerecht zu werden, präsentiert sich Mouthe an der Hauptstraße mit zusammengekehrten Schneehaufen, in denen sich VW Busse verstecken ließen – hochkant.
Gab es gestern im hohen Schwarzwald zwar reichlich Schnee, aber nur jenseits des Asphalts waren heute durchaus winterliche Fahrqualitäten gefragt. Auf den ersten sechs Kilometern vom Start der Prüfung am Col de Menthières liegt noch Eis in den schattigen Kehren. In der Tram Bar, einem stillgelegten Straßenbahn-Waggon in Confort, lassen sich die Heldentaten und bestandenen Abenteuer auf glattem Geläuf im dunklen Wald bei einem Café Noir austauschen.
Bis zum Abend kann nicht geklärt werden, ob es der Blick für die grandiosen Landschaften war oder das fantastische Mittagessen im Seehotel Le Lac in Malbuisson, aber ein erklecklicher Teil der Reisegruppe ist mit deutlicher Verspätung im Ziel in Aix Les Bains erschienen. Mancher wähnte die Route durch das Vallée de Joux als Wink mit dem Zaunpfahl. Die größte Senke der Schweiz ist in ein Hotspot der Luxusuhren-Industrie. Für jene, die sich keine Audemars Piquet oder Breguet leisten wollten, hat die Rallyeleitung eine großzügige Amnestie erlassen.
Die hätten die bisher Führenden Zoltán Horváth und Lajos Boros allerdings gar nicht nötig gehabt. Sie verpassten mit ihrer Lancia Fulvia (BJ 1975) den Tagessieg um einen Winzigkeit von zwei Punkten, damit rückt die Porsche-Crew Jörg Pöhlemann und Marc Stoll im Porsche 924 (BJ 1976) sehr nah und auf gerade einmal acht Sekunden an die Spitze heran. Die Gesamtsieger der letzten AvD-Histo-Monte 2019 haben aber auch noch ein Wörtchen mitzureden. Sie verbesserten sich im BMW 325i (BJ 1986) von Rang 5 auf Gesamtrang 3 der aktuellen Gesamtwertung.
Text: Markus Stier
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