Es ist, als wollten sich die Seealpen entschuldigen. Erklären, dass jenes unterirdische Wetter mit Regen, Schnee und Nebel vom Vortag nur ein unglückliches Versehen gewesen ist. 17 Grad misst das Thermometer im italienischen Bajardo, zur letzten Mittagspause haben sich einige gar an die Tische draußen gesetzt. So hat man bei Lasagne und Cappuccino im legendären Ristorante Dall’ Ava auch einen viel besseren Blick auf das bunte Treiben. Stolze 65 von 69 Autos rollen auf den Vorplatz, und auch wenn mancher wie der HB-Quattro nach diversen Zipperlein auch heute abkürzen muss, dieses Mal wegen eines gebrochenen Auspuffs. Dennoch schafft er es ins Ziel, wo Spaßvogel Stephan Lützenkirchen im seltenem Anflug von Ernst bemerkt: „Es ist doch immer schön, nach Monaco zu fahren und dem Winter bei uns zuhause zu entkommen.“
Bis auf Kleinigkeiten wie die Suche zum Hafen im Straßengewirr von Monte Carlo oder kleine Defekte hängt an diesem eitel-sonnigen Tag nur eine dunkle Wolke über der Rallye. Sie wirft ihren Schatten auf die Startnummer 28. Am Autobianchi Abarth von Christina und Joachim von Finckenstein ist die Kopfdichtung verraucht. Welche Ironie: All die langen Tage hat der kleine Italiener überstanden, die letzte, mit 212 Kilometern deutlich kürzere Schlussetappe wird ihm zum Verhängnis. Und das ausgerechnet beim Heimspiel, wo er neben dem Stratos und der Fulvia-Armada bella Figura hätte machen können.
Richtig gelesen: Es geht zum Finale nach Italien. Erstens waren einige ligurische Prüfungen durchaus schon Schauplätze von Grenzübertritten der regulären Rallye Monte Carlo, zweitens sieht die Topographie samt verschnörkeltem Wegenetz jenseits der Grenze auch nicht anders aus. Baiardo, Pigna, Colle Langan, San Romolo, Perinaldo, das sind große Namen der Rallye San Remo.
Diesen Tag wollte sich auch Walter Röhrl nicht entgehen lassen. Er kam mit einem Porsche aus der Garage von Diez-Classic in den Süden, um sich auf eine Zeitreise zu begeben. Die Restaurations-Profis rund um Rafael Diez haben im letzten Jahr seinen Porsche-Siegerwagen von der Bavaria-Rallye 1970 detailgetreu wieder aufleben lassen und Röhrl hatte sichtlich viel Spaß. „An jeder zehnten Kurve fällt mir eine Geschichte ein.“ Die AvD-Histo-Monte schrammt am Monte Ceppo entlang, wo Röhrl zu gemeinsamen Opel-Zeiten dem großen Franzosen Jean-Pierre Nicolas ordentlich eine mitgab: „Vier Minuten. Da hat er aber geschaut.“ Aber nicht weit von hier auf dem Weg nach Perinaldo hat 1984 auch der Regensburger nicht schlecht gestaunt, als ihm ein über die Straße laufender Bach den Sport Quattro unterm Hintern wegzog und seine Trümmer über 100 Meter verteilte. Es war der schwerste Unfall in der Karriere des zweifachen Weltmeisters.
Zugegeben, auch heute gab es einen Unfall. Ein lokales Zivilfahrzeug hat dem zugegeben echt breiten Gruppe-2-Fiesta von Helmut Hess und Jörg Malinowksi in einer Kehre den Weg abgeschnitten. „Wir haben dann erst mal erklären müssen, welcher Teil der Straße wem gehört“, sagt Hess. Die Sache ist nicht mal ein Drämchen. Am Ford ist keine nennenswerte Macke zu sehen.
Ebenfalls ohne Schramme ist das Selbstvertrauen von Urban Priol. An ihm und Fabian Seydel hat es nicht gelegen, dass der mögliche Sieg in der Sanduhr-Klasse verloren gegangen ist. Der fröhliche Kabarettist mit Sturmfrisur nimmt seinem BMW 2000 Tilux den versagenden Verteilerfinger aber nicht krumm. „So ist das mit der Technik eben. Da kannst du nix machen.“ So ging der Sieg in der Gleichmäßigkeits-Hardcore-Disziplin an Dr. Yorck und Dr. Jost Streitbörger im Mercedes-Benz C107 aus dem Jahre 1974. In der Gesamtwertung fuhren sich in diesem Jahr Jens Herkommer und Werner Neugebauer an die Spitze des Feldes. Nach einigen selbst verschuldeten Strafpunkten versagten für einen Moment beinahe die Nerven, doch am letzten Tag waren seine Abweichungen derart gering, dass er sich mit einem Hauch von 18 Sekunden doch noch auf Platz 1 kämpfen konnte.
Die Rallye darf aber nicht beschlossen werden, ohne die Sieger der Herzen zu erwähnen: Die Mechaniker des Teams von Skoda-Spezialist Jens Herkommer waren eigentlich angereist, um sich um die vier Rallye-Tschechen aus dem Erzgebirge zu kümmern. „Die haben an allen möglichen Autos geschraubt, nur nicht an ihren eigenen“, zieht Vorausfahrzeug-Fahrer Dirk Göbel im Ziel den Hut. Egal ob am Plattfuß des Quattro A2 am Donnerstag, oder am Dienstag dem weißen Autobianchi, der gerade durch den Torbogen rollt, ständig waren die barmherzigen Samariter mit den schwarzgrünen Pudelmützen im Einsatz. „Für den Autobianchi bin ich sogar 50 Kilometer zurück in die Schweizer Grenze gefahren“, sagt Mike Poppe als einer der Männer vom „Herkommer Performance Center.“ Nach einer Stunde war der Vergaser wieder sauber.
Die Zuverlässigkeit der Skoda-Flotte nimmt vor allem einer sehr wohlwollend zur Kenntnis: Mit 81 Jahren ist Karl-Heinz Peukert mit Abstand der älteste Teilnehmer im Feld. Das garstige Wetter am Donnerstag, die langen Tage, die vielen Kurven haben den Mann, der schon zu DDR-Zeiten Rallyes fuhr, nicht nennenswert durchgeschüttelt. „Wunderbar, wunderbar, wunderbar“, sagt er an der Mole des Hafens in Monte Carlo. „Ich würde auch noch mal mitfahren, aber in meinem Alter weiß man das ja nicht so richtig.“
Auch die Siegerehrung hatte es in sich. Bei der letzten Ausgabe war es Ex-Rallye-Weltmeister Massimo „Miki“ Biasion, der den letzten Tag mit seiner Lancia Fulvia Safari unter die Räder nahm, in diesem Jahr kam Röhrl nach 2017 schon zum zweiten Mal an die Cote d’Azur. Doch bei der abschließenden Siegerehrung zauberte die Organisation mit dem Finnen Ari Vatanen einen zweiten Weltmeister auf die Bühne, die TOP-10 nahmen ihre Pokale daher gleich von zwei Weltmeistern entgegen. Und weil man das 40-jährige Jubiläum vom Röhrl’schen Monte Carlo Sieg im Ascona 400 mit den Teilnehmern gebührend feiern wollte, sendeten Biasion und auch der achtfache Weltmeister Sebastien Ogier der Veranstaltung und dem Champion Röhrl per Video ihre ganz persönlichen Glückwünsche.
Und weil es zum Optimismus keine Alternative gibt, sagt das Orga-Team an dieser Stelle: Wir sehen uns gerne wieder im Jahr 2024, dann bei der 24. AvD-Histo-Monte.
Text: Markus Stier
Fotos: Lena Willgalis, Arturo Rivas, Andreas Beyer
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