„Ich geb euch noch nen Lappen mit“, sagt Christof Caspar von der Audi Tradition. Der Original-Quattro, den Walter Röhrl 38 Jahre nach der Rallye Monte Carlo zum ersten Mal wieder entert, steht da, als wäre er gerade erst ins Ziel der Ausgabe von 1986 gerollt. Bei dem „Über-Auto“ hat man damals wie heute auf alles geachtet. Auch Dichtungen sind natürlich vorhanden, doch die Leichtbautüren schließen nie perfekt und die Scheiben beschlagen. Es ist Sonnenaufgangszeit, als Röhrl durch die Straßen von Cannes in Richtung Berge röhrt – theoretisch. Praktisch regnet es seit zweieinhalb Tagen ohne Pause, und es herrscht auch um halb neun noch Finsternis, über der Blumenstadt Grasse hängt dichter Nebel, über die Straßen laufen Sturzbäche. Doch Röhrl fühlt sich im Audi Sport Quattro S1 E2, so die offizielle Bezeichnung, sofort pudelwohl. „Ich musste nicht einmal nachdenken, wo welche Schalter sind, das ist schon ein komisches Gefühl nach so vielen Jahren. Da steigst du ein und weißt sofort wieder alles.“
Leider kommt nach dem Regen am Vortag heute die Sintflut. Es sind keine Pfützen, durch die sich das Feld über legendäre Monte-Prüfungen wie den Col de la Sinne oder den Col de Bleine arbeiten, es sind Furten. „Die Winter-Rallye“, nennt sich die AvD-Histo-Monte, von Weltuntergang war eigentlich nicht die Rede. Aber wie hat gestern schon ein Teilnehmer gesagt: „Super. Das ist mal richtig Rallyefahren.“ Nach drei Tagen ungläubigem Staunen hat sich das Feld am Finaltag an den ständigen Seich gewöhnt. „Da vorn wird’s schon heller“, heißt es nach zwei Prüfungen im Röhrl-Quattro. Der Satz wird an diesem Tag noch drei Mal fallen, ohne dass der Wahrheitsgehalt nennenswert zunimmt.
Aber die schroffen Berge des Departments Alpes Maritimes verlieren auch bei anthrazitfarbenem Himmel nichts von ihrer Wildheit und Brachialität – ganz im Gegenteil. Die Teilnehmer staunen nicht nur über senkrechte Felswände und tiefe Schluchten, schmalste Sträßchen und flache Mäuerchen, sondern auch braune Wassermassen, die sich durchs Var-Tal und das Tal der Vesubie wälzen und donnernde Wasserfälle wie der hinter der hübschen Kapelle Madame de la Menour, die sich unterhalb von Moulinet seit über 300 Jahren auf ihren einsam in der Landschaft ragenden Fels klammert. Ein Dutzend Fans hat sich eingefunden, sie verpassen die Dramen des Tages, die sich nur wenige Kilometer oberhalb und unterhalb abspielen.
Oben ist ein Felsbrocken auf die Straße geplumpst, der die beiden rechten Reifen des Röhrl-Quattro hinrichtet. Schon zuvor ist der Mercedes 190E 2,3/16 von Michael Becker und Johannes Burges mit einem Plattfuß gestrandet. Die Besatzung tritt umgehend den Rückweg zum Hotel an, wo sie auf die Ausgefallenen des Vortages trifft, die heute einen Wellness-Tag einlegen. Bei Röhrl sind die Audi-Mannen schnell am Schauplatz und ziehen zwei neue Michelin Alpine auf. Wenige Kilometer unterhalb scheidet der schöne Gruppe-A-Lancia Delta Integrale von Karsten Helber und Timo Donati mit einem Frontschaden aus.
Es ist eine Verschwörung. Wenige Minuten vorher haben die Behörden in Monaco im Rallye-Büro durchgeklingelt. Die Zieleinfahrt am Kreuzfahrt-Kai ist abgeblasen, im Fürstentum herrscht neben Regen auch noch Sturm. Fahrtleiter Peter Göbel handelt einen Kompromiss aus: Das Ziel bleibt in Monte Carlo, der aufblasbare Zielbogen bleibt im Transporter. Das ist das einzig wirklich traurige an dieser besonderen AvD-Histo-Monte: Die tapferen Helden, die sich durch schwerstes Wetter durchgekämpft haben, können sich nicht vor der mondänen Kulisse, großer Yachten und teurer Apartmenthäuser verbrüdern, aber das wird später im Hotel nachgeholt.
„Ich sag mal: Keine Dramen“, verkündet Andreas Zuhnemer, als er im Ziel aus seinem Renault 5 Turbo steigt. Bei einem Klassement, bei dem die besten drei innerhalb von einer Handvoll Strafpunkten liegen, ist schwer zu sagen, ob es gut lief. Im Auto des Vorjahressiegers Jens Herkommer verbreitet Co Mike Poppe keinen Optimismus: „Mal geht der Trip perfekt, mal nicht.“ Die nach eigener Einschätzung eher maue Abschlussrunde beenden die Drittplatzierten tatsächlich einen Hauch schwächer als die beiden Teams vor ihnen, und damit bleibt der Skoda 130 LR auf Rang drei. Beim Kopf- an Kopf-Rennen um die Spitze kassieren Reinhard Siegmeier und Erwin Becher mit 30 Strafpunkten neun mehr als das Renault-Duo an der Spitze, und damit ist die Schlacht geschlagen: Zuhnemer und Pellini heißen mit 152 Strafpunkten die neuen Sieger der AvD-Histo-Monte.
Der beste Mann des letzten Tages ist ein anderer: Veit König verteidigt bei seiner allerersten Gleichmäßigkeitsveranstaltung Rang vier als Tagesbester mit nur 16 Strafpunkten, abzüglich Streichresultaten sogar nur 12 Miesen. Auch wenn er das Treppchen knapp um 12 Punkte verpasst, fühlt sich der Mann aus Zschopau als Gewinner. Er hat sich zum 60. Geburtstag (noch keinen Monat her) gewünscht, dass der große Walter Röhrl mal in seinem kleinen Auto Platz nimmt. Der Lange faltet sich mit fast 77 Jahren erstaunlich behände in den Suzuki Swift.
Röhrl ist selbst bester Laune. Der Quattro ist super gelaufen. „Ich hab mich gefreut wie ein kleines Kind“, sagt er im Ziel. Florian und Michael aus Horb sind am Vortag ins Flugzeug gesprungen, um Röhrl und den Quattro zu sehen. Sie haben ein drei Meter breites Transparent mit einer Kollage von Röhrls vier Monte-Siegen vorbereitet, das sie in der Schlucht von Aiglun ausgebreitet haben und das der Doppelweltmeister bestaunt: Auf dem überlebensgroßen Foto lacht der ewige Grantler herzhaft. Dann zeigt Röhrl zum Himmel und sagt: „Guck mal, die Sonne kommt raus.“
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