Mit einem eigens ausgestellten Geleitbrief hat die ehemalige Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber das Feld mit den Wünschen einer sicheren Reise auf den Weg geschickt. Das Problem lag weniger an Wegelagerern oder Staatsgewalten, die das Feld am Fortkommen hinderten, sondern vielmehr an den Wegen selbst. Die 547 Kilometer lange Etappe war noch keine halbe Stunde alt, da tauchte der erste Teilnehmer statt im Rückspiegel in der Windschutzscheibe auf. War das Navigieren über die Felder Richtung Künzelsau etwa zu schwer? „Nun ja,“ sagt ein anonym bleiben wollender BMW-Beifahrer: „Da war die tief stehende Sonne, und der frühe Morgen und die fehlende Konzentration.“
Allerlei T-Kreuzungen nach rechts wurden links gefahren, und umgekehrt. Am Schauinsland kam mancher nicht von unten, sondern von links vom „Notschrei“, und zwischen Hohenlohe und Stuttgart steckte ein auf schmierigem Geläuf ausgerutschter Porsche geradeaus im Acker, statt die lange Rechts daran entlang zu nehmen. „Ist ja schön, wenn man jemanden so leicht wieder flott machen kann“, sagt der freundliche Pannenhelfer des AvD, die auch in diesem Jahr mit einem professionellen Pannenfahrzeug die Tour bis Monte Carlo begleiten.
Ansonsten haben die guten Geister des AvD einen erfreulich ruhigen Tag. „Nur Kleinigkeiten“ lautet die Kurzzusammenfassung. Da war der zwei Mal verstopfte Benzinfilter, der die Lancia Fulvia von Uschi Mühlenbrock und Ralf Wittenberg zwischenzeitlich lahmlegte, schon ein Tageshighlight. Das olle Gitter durchzupusten war den Spezialisten ein Leichtes. Die bildschöne, in seltenes Himmelblau gekleidete Italienerin schaffte es souverän ins Etappenziel. „Wenn man bedenkt, dass wir das Auto erst zwei Monate haben und letzte Woche erst TÜV bekommen haben, läuft es super“, sagt Beifahrerin Mühlenbrock.
Apropos Blau: Entgegen dem deutlich optimistischeren Wetterbericht dauerte es bis zum späten Vormittag, bis sich das Gute-Laune-Wetter Bahn gebrochen hatte, das sich bis zum spektakulären Sonnenuntergang über dem Rheintal pünktlich zum Start der letzten Tagesprüfung hielt. Welche Tragik für Hannes Streng und Alexander Haselmann. Gestern noch Gewinner der Silbermedaille in der demnächst olympischen Disziplin „offen Fahren bei Schietwetter“, machte ausgerechnet bei Anbruch des schwäbischen Frühlingswetters der Kardanantrieb des Oldsmobile die Grätsche. Der gleiche Ausfallgrund hinderte Streng schon vor drei Jahren am Erreichen des Mittelmeeres. Ebenfalls fehlen wird im Hafen von Monte Carlo der Mercedes 180D der Gebrüder Plagemann. Die Hoffnung, den beim Prolog gestrandeten Daimler wieder flott zu bekommen, erfüllte sich nicht.
Ansonsten erreichten nach der Mittagsrast bei zwölf Grad in Freudenstadt, der Reise durchs Kinzig- und Elztal und der Überquerung des Kandel und der abschließenden Schussfahrt über die legendäre Schauinsland-Bergrennstrecke hinunter nach Freiburg 67 der 69 in Rothenburg gestarteten Teams das Ziel der zweiten Etappe.
Zugegeben, bei manchem brannte auch lange nach Ankunft im Breisgau noch Licht: „Simmering“ fasste Dominik an der Heiden das Bild zusammen, das sich aus aufgebocktem Elfer und drunter liegendem Mechaniker zusammensetzte. Die wegen Öleintritt rutschende Kupplung war noch das geringere Problem. „Die erste Prüfung haben wir halt verhauen“, sagte an der Heiden trocken. Mathe hätte geholfen. Für das Nichtauffinden der geheimen Durchfahrtskontrolle an der Lochsägemühle bei Nagold gab es 33 Strafpunkte. Da einige eigens zurückfuhren, um den fehlenden Stempel noch einzusammeln, kassierten sie am Ende 50 Miese für die massive Verspätung an der folgenden Zeitkontrolle in Freudenstadt.
Was auch immer in der ersten Halbzeit schief gelaufen sein mag, war in der zweiten vergessen. Schon beim Aufstieg zum 1241 Meter hohen Kandel, der Nummer 34 unter den immerhin über 100 Eintausendern des Schwarzwaldes, standen Schneemauern bis zu einem Meter Höhe am Wegesrand Spalier. Niemand kam ins Rutschen, die Straße war bis auf wenige Meter mit Schneeresten allenfalls feucht, trotzdem breitete sich mit verschneiten Schwarzwaldhausdächern und gezuckerten Fichten eine Wintermärchenlandschaft vor den Teilnehmern aus.
Der die Tagestour krönende Schauinsland-Gipfel toppte den Anblick nicht nur um weitere 43 Höhenmeter, die Nummer 19 unter den Schwarzwaldriesen empfing die ersten Starter an der oberen Kante mit dem Licht gewordenen Saft von Milliarden Apfelsinen. Ein einsamer Kite-Snowboarder machte die Kitsch-Postkarte perfekt. Die Teams, die sich erst nach Viertel nach Sechs nach oben geschraubt hatten, mussten sich nicht grämen. Das Abendrot, ein halogen-farbener Mond, und die funkelnden Lichter von Freiburg leuchteten auch denen mit versagenden Zusatzlampen sicher heim.
Wenn die Sonne wieder aufsteht, macht sich das Feld über einen Abstecher in die Schweiz auf den Weg nach Aix-Les-Bains, mit 577 Kilometern die längste Etappe der 23. AvD-Histo-Monte. Das sonnigste Gemüt im Feld hat die ungarische Paarung Zoltán Horváth und Lajos Boros in Ihrer Lancia Fulvia Coupe „Monte Carlo“ von 1975. Sie führen mit nur 29 Strafpunkten und einem hauchdünnen Abstand von gerade einmal sieben Punkten vor dem Duo Enghof Thomas und Nico Pfanzelt in einem Porsche 924 S (Baujahr 1986), auf Platz 3 folgen Jens Herkommer und Werner Neugebauer im Skoda 120 L von 1995.
Text: Markus Stier
Fotos: Lena Willgalis, Arturo Rivas, Andreas Beyer
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