Es ist schon spät an diesem Freitagabend, doch im Kanzleramt brennt noch Licht. Angela Merkel hat gerade die Schuhe ausgezogen, um die nach einer Fußball-Wette mit Kanzleramtschef Helge Braun gewonnene Fußmassage einzufordern, da klingelt plötzlich das neue, abhörsichere Handy.
„Peter, du bist’s“, sagt die Merkelin. „Die heute-Show geht gleich los. Was gibt’s denn noch so spät?“
Am anderen Ende atmet AvD-Histo-Monte-Organisator Peter Göbel noch einmal tief durch, um nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. „Angela, jetzt mal im Ernst: Glaubst du mir bringt es irgendwas, wenn du die Friseure aufmachst?“
Sie weiß, sie sollte das nicht ständig tun, da aber außer ihrem leibeigenen Braun keiner zuguckt, rollt die Kanzlerin mit den Augen. „Was brächte dir denn mehr?“, fragt die abtrünnige Pastorentochter aus der Uckermark den abgebrochenen BWL-Studenten aus Attendorn. Man kennt sich und kann sich leiden, seit Göbel 2014 für die Nationalmannschaft und ihr Gefolge den Auto-Korso zum Brandenburger Tor organisiert hat, und sie ahnt auch schon den Grund des Anrufes.
„Wo wollt Ihr denn lang, bevor Ihr meine Republik verlasst?“, fragt sie den Organisator der AvD-Histo-Monte. Kurz darauf erhellt sich ihre Miene. „Durch Söderland und Kretschmann Country? Dett passt mir ganz gut. Den einen muss man eh mal einbremsen und der andere versucht mich ständig rechts zu überholen.“ Angesichts der freundlichen Wendung schaltet Göbel sofort um von Lamento auf Akquise: „Wann fährst du denn mal mit?“ „Ach weißte, man kommt ja zu nix. Aber ruf im Herbst noch mal an. Ab da habe ich Zeit.“
Die mächtigste Frau der Welt gibt ihren Segen: „Also Peter, von mir aus in Gottes Namen, fahrt. Aber sieh erstens zu, dass du dett als Dienstreise deklarierst und zweitens: Hau nicht wieder so auf’n Putz. Lass mal diese Motor Klassik und die anderen Zeitschriften, vor allem aber diesen Stier zuhause. Muss man ja nich alles so an die große Glocke hängen.“ Damit legt die Kanzlerin auf und sagt: „So, Helge…“
Bei ihrer letzten Fernsehansprache zum Ernst der Lage der Nation hat sie beim Thema Urlaub und Privatvergnügen durch den Flachbildschirm tief in die Augen von ihrem größten Fan Urban Priol geblickt. Aber der findige Kabarettist hat die Histo-Monte schon bei Abgabe der Umsatzsteuer-Erklärung im dritten Quartal 2020 zur Dienstreise erklärt, frei nach dem Motto: „Suche nach Munition gegen das Corona-Kabinett.“ Um in allen etwaigen monetären und arbeitsrechtlichen Detailfragen unterwegs auf der sicheren Seite zu sein, hat er wie so oft seinen Steuerberater als Copiloten angeheuert.
Die Personalie zahlt sich schon bei der Technischen Abnahme aus, allerdings nicht für Priol, sondern für Peter Prause, der seine Ente – wie gewohnt – mit Skiern dekoriert hat. Die sind laut Hinweis des Steuerfachmanns dem dienstlichen Charakter der Tour nicht förderlich. Doch Prause ist nicht auf den Kopf gefallen: Er sei Teil einer Lawinen-Forschungsgruppe, und die Abfahrtshilfen daher unerlässlich, erklärt er den verdutzten Kommissaren. Priols Copilot zuckt zuerst mit den Schultern, erklärt dann aber die steuerrechtliche Richtigkeit der Angaben.
Auf eine Regress-Verzichtserklärung hat Orga-Chef Göbel dieses Mal verzichtet. Inspiriert von den jüngsten Ereignissen in Washington finden aufmerksame Leser stattdessen im Kleingedruckten des Reglements einen Passus zum Thema „Selbstbegnadigung der Fahrtleitung“.
Nachdem am Sonntagabend alle ihre Geheimhaltungserklärung unterschrieben haben, geht das fröhliche Feld der 90 Autos am Dienstag auf den Prolog rund um Rothenburg ob der Tauber, akustisch wie so oft begleitet von Peer Günther, der die Rallye reibungslos durch Zeitkontrollen, Regroupings und Ortsdurchfahrten geleiten soll, wozu er sein Mikrofon gegen ein Megaphon getauscht hat. Statt Wissenswertes zu Teilnehmern und Autos zu beplaudern, blafft der erste Histo-Monte-Fahrtleiter der Geschichte heraneilende Schaulustige konsequent mit dem Standardsatz an: „Bitte weitergehen! Hier gibt es nicht viel zu sehen.“
Es geht ja vor allem darum, dass die Teams die Fahrt und die Gegend genießen können. Der Spaß hat allerdings schon nach der Mittagsrast in Freudenstadt ein Loch. Anstatt sich auf den verschneiten Pisten des Hochschwarzwalds auszutoben, steht der Tross im Stau, weil reihenweise Familien auf den Rodelpisten der Gegend dem Lagerkoller entkommen wollten und nun von der Staatsgewalt gestoppt worden sind. Göbel reagiert sofort, lässt seine Truppe vor tobenden Touristen und frustrierten Polizisten wenden und auf verschwiegenen Zickzack-Routen die Abendprüfung auf dem Kandel ansteuern, wo das Feld durch den Umweg aber erst kurz vor Mitternacht eintrifft.
„Das Büffet war auch schon mal besser“, beklagt der ansonsten begeisterte Histo-Monte-Fan Thomas Groschek, als die Teilnehmer nach der Überquerung von Deutschlands Col de Turini und der Abfahrt der Schauinsland-Bergrennstrecke um zwei Uhr morgens endlich das Dorint-Hotel erreichen. Wegen des Abstandsgebots reicht die Schlange vor dem einzigen Schokoriegel-Automaten bis vor die Tür. Die Stimmung hebt sich nur leicht, als Krisenmanager Göbel mit den Resten vom Schinkenbüffet des Zwischenstopps in Haslach im Kinzigtal eintrifft. Der rigorose Herbergsvater verkündet: „Ihr habt die Kanzlerin gehört. Das hier ist ausnahmsweise mal keine Spaßveranstaltung. Start zur zweiten Etappe, morgen um Sieben.“ Die Spitzfindigkeit von seinem einstigen Rallye-Partner Matthias Kahle, dass eigentlich morgen schon heute ist, überhört die Rallyeleitung geflissentlich.
Im Orga-Büro hat man noch zu tun. Die in ihre Betten gefallenen Teilnehmer ahnen nicht, wie nahe sie dran waren, nach Ankunft im Breisgau sofort wieder in die Autos zu springen, um nach zwei Abstechern in die Schweiz bei Basel und Genf rechtzeitig beim nächsten Etappenziel in Aix le Bains einzutreffen. In Frankreich gilt eine verschärfte Ausgangssperre ab 18 Uhr, die zweite Etappe wäre ohne extremen Frühstart nie zu schaffen.
Aber wozu hat man Freunde. Jean-Marc Bonnay klemmt sich ans Telefon. Bei 33 Dakar-Rallyes war der Franzose mit dem geschwungenen Schnauzbart 34-mal dabei, zur heimlichen Staatsregierung, dem Tour-de-France-Organisator ASO pflegt er beste Kontakte, und böse Zungen behaupten, Emmanuel Macron schulde ihm noch was, weil Bonnay ihn vor Jahren bei einem Wahlkampfauftritt in Avignon beim Boule gewinnen ließ.
Aber der Mann mit den Spitznamen Snoopy oder Asterix will nicht das ganz große Zaubertrank-Fass aufmachen – er ruft eine Etage tiefer an. Asterix palavert mit Castex, dem Premierminister, dem er mal nach einem Tête-à-Tête in einem kleinen Hotel in Biarritz einen verschwiegenen Hinterausgang zeigen musste … aber das führt jetzt zu weit. „Bonsoir, Jean. Ihr habt doch den Leuten bei der Rallye Monte Carlo spezielle Freibriefe ausgestellt, falls sie früher oder später auf der Straße… Ja genau. Sei so gut und schick uns ein Blanko-Exemplar mit deiner Unterschrift. Merci.“
Geflissentlich hat Bonnay den Premier im Glauben gelassen, es gehe um die offizielle Rallye Monte Carlo und damit quasi um Staatsräson und nicht um eine Gaudi-Tour von 160 Deutschen. Um seiner eigenen Veranstaltung darüber hinaus einen staatsmännischen Anstrich zu geben, hat Organisator Göbel beim Mittagshalt in Malbuisson einen ehemaligen Europa-Abgeordneten eingeladen. Ari Vatanen schwebt mit dem Hubschrauber am Lac de Saint-Point ein und schwärmt: „Eure Oldtimer … die ökologischsten Verkehrsmittel überhaupt. Und wenn du deinen eigenen Wagen nimmst, besteht auch kaum Ansteckungsgefahr mit Corona.“
Gebannt lauschen die Teams den Anekdoten des Rallye-Weltmeisters von 1981, zum Beispiel, wie er einst nach Getriebeschaden in der Wüste zusammen mit Legende Colin McRae eine Horde Wüstenräuber so flauschig quatschte, dass die bewaffneten Islamisten bei der nächsten Europawahl glatt die Christdemokraten gewählt hätten. „Das ist das Gute, wenn du Politiker bist. Du hast überall auf der Welt Freunde“, meint Vatanen.
„Wir kannten die Story schon“, winkt Hainbach ab. Der ehemalige deutsche Rallyemeister Reinhard Hainbach und Rad-Querfeldein-Legende Klaus-Peter Thaler sind somit die einzigen, die sich an der kommenden ZK keine fette Zeitstrafe einfangen. Der nun führende Thaler lehnt sich zurück und genießt die Wintersonne: „Endlich wieder in Gelb“, sagt der frühere Rad-Profi und Tour de France-Teilnehmer. War das schon die Vorentscheidung?
Nach einer lustigen Berg-und-Tal-Fahrt über diverse Pässe wie den Col de Landoz-Neuve oder den Col de Menthières rollt die Rallye in Aix Les Bains ein. Die meisten kommen weit nach 18 Uhr ins Ziel, aber die Stadt wirkt wie ausgestorben, und es sind auch kaum Gendarmen zur Sperrstundenüberwachung zu sehen. Kein Wunder, die Flics sind nicht weit vom Etappenziel zu einem Notfall abkommandiert worden. Einem Großmütterchen ist beim abendlichen Gassi gehen angeblich das Hündchen abhandengekommen. Mangels sonstiger Action stürzt sich die Staatsgewalt mit aller Macht in die Suche. Einige Teilnehmer schwören jedoch, die alte Dame hätte unter ihrer weit ins Gesicht gezogenen Kopfbedeckung einen ziemlich markanten Oberlippenbart getragen.
Die Männer vom AvD-Pannendienst schauen sich am Morgen des Freitages fragend an, als ein Teilnehmer fragt: „Habt Ihr einen Schneesauger?“ Hannes Streng, der mit seinem Oldsmobile Delta 88 Royale wie gewohnt die gesamte Rallye mit offenem Verdeck bestreitet, hat konsequent auch über Nacht das Dach offengelassen und findet unter 30 Zentimeter Neuschnee weder Pedale noch den Automatik-Wählhebel.
„Ah, diese Luft“, schwärmt Michael Bailey, der die Woche tiefenentspannt angegangen ist. Erstens hat er seinen Bühnen-Auftritt bei der Siegerehrung schon sicher, denn weiter als der Australier ist keiner angereist, zweitens lässt sich das Lebensmotto „No Worries“ deutlich leichter ausleben, wenn man bei diesem Wetter einen Ford Escort Cosworth und damit auch Allradantrieb hat.
Vor allem die berühmte Chartreuse-Prüfung ist tief verschneit. Weil vor Jahren ein auf der Piste parkendes Post-Auto den Wettbewerb der Rallye verzerrte, hat Perfektionist Göbel eigens die Post anrufen lassen und dafür gesorgt, dass selbige erst mittags ausgeliefert wird. Vergessen hat er aber die Paketdienste, und so müssen Horst Weck und Udo Pilger bei blockierter Route als Augenzeugen der Auslieferung einer Ladung Katzenfutter, schwarzer Damenunterwäsche und einer Kiste Calvados ebenso wie alle Chancen auf ihren Vorjahressieg begraben wie Horst und Jörg Friedrichs, die im gelben Opel Ascona A selbst fälschlich für einen Zustellungsdienst gehalten werden.
Weil auch Thaler und Hainbach hinter dem Paket-Service feststecken, in dem sich ein fröhlicher Rastafari aus Martinique mit Reggae auf den Kopfhörern auch durch wildes Gehupe nicht aus der Ruhe bringen lässt, ist der Vorsprung des Histo-Monte-Siegers von 2001 und des zweimaligen deutschen Rallyemeisters dahin. Und so fallen schon weit vor dem heute zu überfahrenden Col de Tourettes die ersten Unflätigkeiten.
Nach dem unfreiwilligen Fauxpas von Thaler und Hainbach ist die Rallye plötzlich wieder spannend. Gut, dass die Ergebnisse dieses Jahr nur online verschickt werden, denkt man sich im Rallye-Büro in Cannes. Aus unerfindlichen technischen Gründen ist der Button für Proteste bis kurz nach Ablauf der Protestfrist nicht aktiv.
Dafür flattert den Teilnehmern kurz nach dem Abendessen ein Bulletin der Organisation aufs Handy. Im Ristorante Dall’Ava in San Romolo herrscht schon seit dem Spätherbst durch einen Frost bedingten Rohrbruch der Notstand. Die Renovierung des Wasserschadens ist durch die strikten Corona-Regeln in Norditalien nicht rechtzeitig fertig geworden. Ohne die Mittagsrast im legendären Restaurant an der San-Remo Prüfung von San-Romolo nach Perinaldo verliert die Abschlussschleife aber erheblich an Reiz.
Schlitzohr Göbel hat in weiser Voraussicht alte Roadbücher des Jahres 2015 mitgenommen, die an diesem strahlenden Samstagmorgen für düstere Mienen sorgen. Denn die scheinbar so spontan ausgeflaggte Alternativ-Route führt entgegen der ursprünglichen Planung nun doch zum Col de Turini und damit mitten ins Katastrophengebiet des letzten Oktobers, als Herbst-Sturm „Alex“ Bergbäche zu reißenden Strömen machte, die Brücken und Straßen mit sich rissen. Und so siebt sich das Favoritenfeld am Eingang des Vésubie-Tals weiter aus, als mehr als die Hälfte des Feldes fälschlich links in die M32 Richtung Utelle abbiegt. Schließlich steht an der Straße geradeaus ein Schild „Route barrée á 10 km“.
Wer sich korrekterweise trotz drohender Straßensperrung nach Norden gewagt hat, steht kurz danach an einer Asphalt-Abbruchkante, wo eine drei Kilometer lange Offroad-Prüfung auf dem Programm steht. Rekord-Rallyemeister Matthias Kahle kommt reichlich hinter der Sollzeit ins Ziel. „Ich wollte das schöne Auto nicht kaputt machen“, sagt der Görlitzer und streichelt zärtlich die erhitzte Flanke seines Škoda 130 RS, den er sonst ohne jede Gnade über die Asphalt-Sträßchen des Eifel-Rallye-Festivals prügelt. Strafpunktfrei bleibt nur Andreas Leue im 1961er Škoda Octavia, der im Windschatten von Kahle ins Ziel kommt. „Hast du keine Angst vor Steinschlägen?“ fragt Kahle den Škoda-Sportpressemann. „Keen Problem“, grinst der frühere Volvo-Rallyecup-Sieger. „Plastikfolie und Gardinenstangen habe ich seit dem Windschutzscheibenbruch bei der Histo-Monte 2015 immer dabei.“
Noch bessere Laune hat heute nur Jean-Marc Bonnay, der wenige Kilometer später auf dem Marktplatz von Lantosque sperrige Pakete in die Autos reicht. Jetzt wundert sich niemand mehr, warum auf der Rückseite des Programmheftes formatfüllend die Produktpalette eines namhaften Kettensägen-Herstellers prangt.
Alle Teams erhalten eine Einweisung durch den Wahl-Sauerländer Shapoor Engineer, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Crazy Chainsaw“. Wer es schafft, in 300 Sekunden aus einem Holzklotz einen Vogel zu schnitzen, erhält je nach Qualität vom Holzkunst-Ass aus Arnsberg Zeitgutschriften, und hier wächst der nach der Vatanen-Plauderstunde eigentlich rettungslos zurückliegende Mike Giesche plötzlich über sich hinaus. Als erklärter Horrorfilm-Fan ist die Kettensäge für den Wiesbadener ein alltägliches Werkzeug. Sein „Mäuse würgender Weißkopfseeadler mit drei hungrigen Jungen“ wird am Montag nach der Rallye feierlich dem Heimatmuseum von Saint Martin Vésubie übergeben. Giesche ist auf Grund der Bonuspunkte plötzlich so gut wie strafpunktfrei und führt mit Fahrer Thomas Plüschke im BMW 2002 die Rallye an.
Jana Heinrich, geborene Tetzke, gab 2015 ihrem Michael auf der letzten Etappe der Histo-Monte das Jawort. Angesichts des Jubeltages gehen dem noch jungen Glück bei der Schnitzarbeit Emotionen und Hormone durch. „Thema verfehlt“, entscheidet die Rallyeleitung streng. Ihre Skulptur „Die Liebenden“ zeigt statt eines Vogels zwei eng umschlungene …
Noch wissen es die Heinrichs nicht, aber der kalten Dusche der Juroren wird am Abend der Siegerehrung noch ein warmes Gefühlsbad folgen, denn Fahrtleiter Göbel hat kurzerhand eine Sonderwertung für den „künstlerischen Ausdruck“ ins Leben gerufen. Inspiriert von der aus Kriegsschrott gefertigten Mutter Gottes auf dem Col de la Madone hat Škodas Schraubzauberer Jens Herkommer aus einer Lichtmaschine, einem Querlenker, drei durchgebrannten Zündkerzen und einem abgerissenen Seitenspiegel – allesamt Sachspenden des Rallye-Pannendienstes – die erstmals verliehene „Trophée August Rodin“ zusammengeschweißt.
Doch an den abschließenden Festakt im für Publikumsverkehr ohnehin geschlossenen Casino unten in Monte Carlo ist noch nicht zu denken. Einen Kilometer weiter erstreckt sich ein wüstes Geröllfeld vor den Teilnehmern, die unschuldig dahin rauschende Vésubie hat im Herbst die Brücke weggerissen. „Und jetzt?“ fragt ein leicht genervter Alexander Haller mit Blick auf die Blasen an den Händen, die nicht etwa vom Kurbeln am seinem 1936er Riley 12/4 Special stammen, sondern von der Holzschnitzaktion zuvor. An die Starter der Sanduhrklasse waren statt Motorsägen nur Äxte ausgegeben worden. Immerhin, statt den immer gleichen Steppwesten mit Rallye-Logo dürfen die Teilnehmer dieses Mal als Andenken die Beile mit Schneiden aus kanadischem Stahl behalten. Auf den in Mowhawk-Schwitzhütten gehärtetem Hickory-Holzgriffen ist zu Erinnerung ein Schriftzug eingebrannt: „Histo-Monte 2021 – Ich war dabei, aber sag’s nicht weiter!“
Gegen Mittag empfängt Streckenscout Dieter Göbel die Teams euphorisch mit dem Sauerländer-Gruß (ein erhobener Zeigefinger bei geschlossener Faust am Lenkrad) und weist auf eine Reihe entwurzelter Bäume, die der pensionierte Förster gemeinsam mit dem AvD-Pannendienst besorgt hat. Jean-Marc Bonnay gibt kopierte Baupläne aus, die er in einer Alu-Kiste mit der Aufschrift „Camel-Trophy 1984“ auf dem Speicher gefunden hat. „Ach“, schwärmt Snoopy über die gute alte Zeit, als man noch ohne schlechtes Gewissen Kette rauchend mit Land Rovern Schneisen durch Brasilien schlagen konnte. „Ich hätte jetzt Lust auf eine Zigarette“, murmelt Matthias Kahle, der sich das Quarzen vor Jahren abgewöhnt hat, beginnt aber dann doch eifrig mit dem Brückenbau.
Ruckzuck ist das stolze Bauwerk fertig, und die Kohorte rollt unter dem Jubel der 567 Einwohner in La Bolléne ein, das seit November nach Westen abgeschnitten war. Hinter einer Säule des Rathauses zündet sich Kahle jetzt doch eine geschnorrte Gitanes an und mault: „Das mit der Ehrenbürger-Ehrung für meinen alten Beifahrer Peter hätte doch auch noch bis nächste Woche Zeit gehabt.“ Die Stimmung hebt sich aber schnell angesichts des exklusiven Erlebnisses: Erstens sind die Rallye-Teams die ersten, die nach vier Monaten den Col de Turini von Westen überqueren können, zweitens hat auf der Passhöhe Wirtin Laetizia, die sich im Lockdown mit Pastis und YouTube-Tutorials für Blaubeerkuchen-Rezepte bei Laune und über Wasser gehalten hat, eigens das Restaurant Trois Vallée aufgeschlossen und den Kamin eingeheizt. Während in Deutschland ein Wintersturm Einzug hält, sitzen die Rallye-Teilnehmer mit Cappuccino vor prasselnden Scheiten oder mit Sonnenbrillen auf der Hotelterrasse.
Der Weg zurück an die Küste verläuft ohne Zwischenfälle, nicht zuletzt, weil Snoopy den Col de la Madone durch oldtimerbegeisterte Flics sichern und etwaigen störenden Verkehr auf der schmalen Straße aus dem Selbigen ziehen ließ. Und so rollt Mike Giesche mit Fahrer Thomas Plüschke bei seiner dreizehnten Histo-Monte-Teilnahme zum zweiten Mal nach 2007 als Sieger in Monaco ein, wo die Teams an der letzten Zeitkontrolle über ihre GPS-Tracker rollen müssen, um sämtliche Spuren der viertägigen Reise zu verwischen.
In Monaco gibt es dann nochmal ein bisschen Gemurre, denn den Zieleinlauf direkt an der Esso-Tankstelle neben dem Fußballstadion in Fontvieille findet mancher wenig stilvoll. Aber das profane Ambiente ist nur Göbels finale Nebelkerze. „Sorry, der Parc Fermé am Quai Albert muss dieses Jahr ausfallen. Genehmigungsschwierigkeiten“, sagt er scheinheilig und zieht nach kurzem Getuschel mit Bonnay vor betretener Truppe sein letztes Ass aus dem Ärmel.
Fürst Albert II hat den gesamten Rallyetross zum Gruppenfoto in die Altstadt vor dem Palast geladen. „Wie hast du das eigentlich wieder geschafft?“ fragt Göbel seinen obersten Strippenzieher für französische Angelegenheiten. „Ach, als der Fürst klein war, wäre er in einem Tabakladen in Villefranche um ein Haar mal wegen eines Schmuddelheftchens in die Bredouille gekommen. Ich war zufällig auch da und habe… Aber das ist jetzt nicht so wichtig.“
Der erste Palast-Sekretär ging einst mit Jean-Marc Bonnay zum Kommunionsunterricht und hat durchsickern lassen, dass sein Souverän nach dem ewigen Aufeinanderhocken mit Fürstin Charlène und den Kindern froh sei, mal vor die Tür zu kommen. Natürlich mit Maske und gebotenem Abstand tritt der 15. Fürst von Monaco dem Ex-Histo-Monte-Sieger und Organisator Peter Göbel gegenüber. Früher pflegte Alberts Vater Rainier die alljährlichen Monaco-Sieger mit einem Standardspruch zu begrüßen, den nun Göbel in einem Anfall von Vorwitzigkeit anbringt: „Ich freue mich, dass Sie es sind.“ Der Fürst runzelt kurz die hohe Stirn und kontert furztrocken: „Wer hat Ihnen denn die Haare geschnitten?“
Text: Markus Stier